Quelle: © Bildarchiv Foto Marburg / Foto: Hajdu, Rose; Aufn.-Datum: 2001
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Das nostalgische Eisenbahn-Belvedere, die „Pergola“ in der Lindenfirststraße Schwäbisch Gmünd erzählt Zeitgeschichte aus einer vergangenen Epoche

 

Mitte des 19. Jahrhunderts gehörte das Grundstück der heutigen Lindenfirststraße 9 und 10 dem bekannten Industriellen Johann Baptist Ott. Ein Gartenhaus zierte den großzügigen, parkähnlich angelegten Garten.

Die in der Lindenfirststraße 9 in Schwäbisch Gmünd vorgelagerte, denkmalgeschützte Pergola wurde Mitte des 19. Jahrhunderts durch den königlichen Baurat und späteren Baudirektor Georg von Morlok, dem bedeutendsten württembergischen Eisenbahningenieur errichtet, welcher auch maßgeblich am Bau des Schwäbisch Gmünder Bahnhofgebäudes und den Umbau des Stuttgarter Bahnhofs um 1860 beteiligt war.

Im Zuge der Planung und Ausbauarbeiten der heutigen Bahnstrecke Aalen – Stuttgart spielte von Morlock, der zu der Zeit in den Diensten der württembergischen Staatseisenbahnen stand, eine wichtige Rolle. Die Bahntrasse sollte entlang der Rems gelegt werden und aufgrund der geografischen Gegebenheiten musste ein Teil des Gartens abgetrennt werden, um ausreichend Platz zwischen Rems und Kaffeeberg zu schaffen. Gut vorstellbar, dass von Morlock der sicherlich den Grundstückseigentümern ein Ausgleichsangebot für die Beschneidung ihres Gartens unterbreitete, der sich zuvor bis zu den Ufern der Rems erstreckt hatte. Der neue Gartenabschluss mit der Pergola sollte ein „Belvedere“ ermöglichen, bei dem die Gmünder „Hautevolee“ den entstehenden Wirtschaftsaufschwung, hervorgerufen durch die industrielle Verkehrsanbindung, bei Champagner und Kaffee hautnah erleben konnten. Die Pergola wurde von 1846 bis 1855 in von Morloks typischem Stil quasi zeitgleich mit der Eisenbahntrasse erbaut und ging Ende des 19. Jahrhunderts mitsamt Grundstück in den Besitz der Industriellenwitwe Pauline Frank über.

Die einzigartige Lage und die vielen ausgelassenen Feste und gesellschaftlichen Ereignisse in der Pergola machten vermutlich eine Vergrößerung des Gartenhauses nötig. Pauline stellte nach alten Dokumenten im Stadtarchiv 1896 den Bauantrag für den Neubau eines Gebäudes, anstelle des auf den Plänen ersichtlichen alten, wesentlich kleineren Hauses.

Damit verschwand also das ursprüngliche Gartenhaus und die heutigen Gebäude Lindenfirst-straße 9 und das danebenliegendes Haus Lindenfirststraße 10 wurden auf dem Grundstück gebaut. Man erzählt sich, dass das westliche Haus als Sommerhaus und das östliche als Winterhaus genutzt wurde, angeblich sogar mit einer Brückenverbindung zwischen beiden Gebäuden. Heute erinnert noch ein von beiden Einheiten für Gartenwasser gemeinsam genutzter Brunnen und ein kleines Durchgangstor an die einstige Verbindung der beiden Grund-stücke.

Die westliche Villa, von den Gmündern auch kurz „die Villa“ genannt, ging im Jahr 1914 in den Besitz der Familie Heyd über, welche seit 1875 in Schwäbisch Gmünd eine Schmuckwarenfabrik betrieb. Das gesamte Anwesen blieb über 90 Jahre und mehrere Generationen hinweg in deren Familienbesitz. Das Bauwerk der Pergola auf dem Privatanwesen wurde im April 1989 als „Gartenabschluß mit Pavillons sowie Gartentor“ in die Liste der Kulturdenkmäler des Landesdenkmalamts Baden-Württemberg aufgenommen.

2015 wurde die „Villa“ in der Lindenfirststr. 9 mitsamt Grundstück und der bereits damals schon sanierungsbedürftigen Pergola von einem Bauträger erworben. Das Haus wurde saniert und in fünf Eigentumswohnungen aufgeteilt. Das Denkmal wurde damals nicht saniert, was nun die Aufgabe und Herausforderung zugleich für die heutige Eigentümergemeinschaft ist.

Die nostalgische Pergola prägt das historische Stadtbild

Die Eigentümer sind sich einig: wer von der Pergola aus über die Stadt blickt, bekommt einen Eindruck davon, wie prominent dieses Bauwerk einst als Tor zur Stadt am damals noch wenig bebauten Kaffeeberg thronte. Gut vorstellbar, wie zu Zeiten der Ursprünge der regionalen, wirtschaftlichen Industrialisierung die Bahnstrecke mit imposanten Dampfloks von der Pergola aus bestaunt wurden und Gesellschaften von dort die beste Aussicht über die Stadt genießen konnten. Die Pergola prägte mächtig und eindrucksvoll das Stadtbild. Insbesondere begrüßte das denkmalgeschützte Bauwerk auch heute noch Bahnreisende aus aller Welt als symbolisches Eingangstor zur Stauferstadt und ließ Besucher erahnen, welch kulturelle Sehenswürdigkeiten sie in der Stadt erwarten würde.

Die Pergola soll als Kulturdenkmal erhalten werden

Die Jahre sind an der Pergola nicht spurlos vorbeigegangen und grundlegende und umfangreiche Restaurierungsmaßnahmen sind unvermeidbar.
Dackel „Johannes“ entdeckte im Winter 2020/21 beim unbedarften Buddeln am Fuße der Esche einen Zugang zum Inneren des Baumes, dessen Stamm offensichtlich hohl und morsch war. Ein Baumspezialist bestätigte daraufhin einen irreparablen Pilzbefall an der eindrucksvollen über 30 Meter hohen Esche, deren mächtige Äste seit jeher über die Pergola ragten. Beim Fällen des Baumes im März 2021 wurde das traurige Ausmaß der Krankheit sichtbar: Der Kern in der unteren Hälfte des Baumstammes war komplett zersetzt und der alte Baum daher einsturzgefährdet. Ein Baum, der mehr als 180 Jahresringe zählt und mehrere Kriege überstanden hatte, war dieser Pilzkrankheit zum Opfer gefallen und hätte vermutlich dem nächsten Sturm nicht mehr standgehalten und wäre auf die Pergola und möglicherweise sogar auf die darunterliegende Lindenfirststraße und Oberleitung der Bahnlinie gefallen.

Die heutigen Eigentümer wollten das Bauwerk erhalten und recherchierten bei Stadtverwaltung und Denkmalamt nach Möglichkeiten, Zuschüsse für den Erhalt des Bauwerks zu erhalten. Wie der Zufall es wollte, hatte einer der Hauseigentümer einen guten Kontakt zum Architekten und Denkmal-Sachkundigen Paul Philipp Waldenmaier und er lud ihn im Mai 2021 ein, das Bauwerk zu beurteilen und über eine mögliche Mithilfe bei der Restaurierung zu sprechen. Waldenmaier sagte seine Unterstützung zu. „Diese Pergola erzählt Zeitgeschichte und ist ein wertvolles Zeugnis des Kulturerbes der Stadt Schwäbisch Gmünd, das in meinen Augen unbedingt erhalten werden soll“, beschreibt Paul Philipp Waldenmaier das ambitionierte Unterfangen. Ebenso konnte die Stadtverwaltung Schwäbisch Gmünd als Fürsprecherin und Partner für die angedachte Restaurierung gewonnen werden. Mit dem Landesdenkmalamt sowie der örtlichen Vertretung wurden verschiede Vorschläge diskutiert und es stellte sich heraus, dass eine Zuwendung vom Landesdenkmalamt nur dann erfolgen könne, wenn das Denkmal an Ort und Stelle restauriert würde. Also wurden ein statisches Gutachten sowie eine Bauschadensbeurteilung mit finanzieller Unterstützung der Stadt in Auftrag gegeben. Aufgrund dessen sollten notwendige Maßnahmen identifiziert und entsprechende Angebote für die verschiedenen Gewerke eingeholt werden. Ursprünglich war geplant, gemeinsam mit dem Denkmalamt und sachkundigen Gutachtern, die Restaurierung zu planen und Stück für Stück auszuführen, um die Pergola in altem Stolz wieder erstrahlen zu lassen.

Nahezu jeder Gmünder Bürger kannte dieses nostalgische Denkmal an der Bahnlinie Schwäbisch Gmünd Richtung Aalen in unmittelbarer Nähe des Bahnhofs. Beim Tag des offenen Denkmals im September 2021 besichtigten in zwei Führungen mehr als 160 Besucherinnen und Besucher die Pergola zum letzten Mal vor deren Abbau und dem hoffentlich stattfindenden Wiederaufbau das Denkmal im ursprünglichen Zustand.

Die Verantwortlichen haben von Gmünder Bürgerinnen und Bürgern viele Anregungen und wertvolle geschichtliche Informationen erhalten, die belegen, dass ein Erhalt des Bauwerks im allgemeinen öffentlichen Interesses sein sollte. „Die Pergola auf dem Grundstück der Eigentümergemeinschaft ist nicht ohne Grund ein Kulturdenkmal – wir möchten sie nachhaltig restaurieren, für das ursprüngliche Stadtbild bewahren und so für kommende Generationen erhalten“, sagt Koordinator Udo Eckloff, der für die Eigentümergemeinschaft das Projektmanagement übernommen hat. 

Die Ausarbeitung für das benötigte Gutachten zog sich bis in den Herbst hin und wurde von einem unvorhergesehenen Wasserschaden überholt: im August stellten die Bewohner einen Wasseraustritt entlang der mächtigen Bossenquader-mauer fest. Die Gmünder Stadtwerke reagierten sofort und lokalisierten den Rohrbruch unterhalb der Mauer. Das Wasser hatte sich entlang des Mauerfußes entlanggearbeitet und war breitflächig und über die gesamte Straßenbreite ausgetreten. Das mitgenommene Sediment aus dem Maueruntergrund könnte zu einer Schwächung der Mauer führen. Nach subjektivem Empfinden der Anwohner und des Koordinators der Eigentümergesellschaft Udo Eckloff, hat dadurch die statische Konstruktion erheblich nachgelassen.

Zur Behebung des Wasserschadens wären Bauarbeiten mit schwerem Gerät notwendig, denen das Bauwerk nicht standhalten würde. Denkmalamt, Bauamt und Stadtwerke stimmten einem kurzfristigen Notabbau zu, für den Architekt Waldenmaier die Leitung übernahm. 

Die schnelle Reaktion in der Projektleitung von Architekt Waldenmaier und die Zusagen der beteiligten Unternehmen Wolfgang Fuchs GmbH, Holzbau Michael Kessler GmbH, Münsterbauverein Schwäbisch Gmünd e.V., Sipple GmbH & Co. KG sowie Schairer Metallrestaurierung, bewahrten das Bauwerk vor Schlimmerem. 

Bereits Ende September 2021 wurde die Pergola mit einem Schwerlastgerüst gesichert und vor dem drohenden Einsturz bewahrt. Kurz darauf konnten die nachfolgenden Gewerke zügig beginnen. In nur 7 Arbeitstagen wurden die Dächer und Holzbauteile denkmalgerecht abgebaut und jedes Einzelteil begutachtet und katalogisiert. Nahtlos konnten danach die Steinsäulen Stück für Stück abgetragen und ebenfalls katalogisiert werden. Hierzu war auch der Abbau des zum Denkmal gehörenden Schmiedeeisernen Eingangstors notwendig.

Der nächste Schritt war die Entfernung des Efeus an der Bossenquadermauer, um deren statischen Zustand analysieren zu können. Parallel erfolgten die Reparatur bzw. der Ersatz der Wasser- und der möglicherweise ebenfalls beschädigten Gasleitung.

Das Ziel ist nun ein Wiederaufbau an Ort und Stelle!

Die Initiatoren haben die Sicherung, analytischen Gutachten, den Notabbau einschließlich der denkmalgerechten Katalogisierung und fachmännischen Einlagerung als kurzfristige Übergangslösung mit einem 6-stelligen Betrag finanziert. Die wichtigsten Grundlagen für den zukünftigen Werterhalt sind damit sichergestellt.

Um die Restaurierung und den nachhaltigen Wiederaufbau des Baudenkmals wird sich der eigens für diesen Zweck gegründete Verein kümmern. Er wird dafür Spenden und Fördermittel zusammentragen.

Ziel ist es, dass das Eisenbahn-Belverdere in naher Zukunft wieder Bahnreisende und Gmünder Bürgerinnen und Bürger als Tor zur Stauferstadt empfangen wird.

Im Oktober 2022 wurde der Verein „Eisenbahn-Belvedere-Pergola-Schwäbisch-Gmünd e.V.“ gegründet, vom Finanzamt Schwäbisch Gmünd als gemeinnützig anerkannt und bereits am 30.11.2022 ins Vereinsregister Ulm unter der Nummer VR 722252 eingetragen. Der Verein wird die Abbau-, Restaurierungs-, Wiederaufbau und Erhaltungsmaßnahmen verantworten.

Die nächsten Schritte zu Voruntersuchungen, Planung und Ausführung sind klar definiert:

Durch erweiterte Ortho-Scan-Aufnahmen der Bossenquadersteinmauer erfolgt eine genaue Schadenskartierung. Schürfungen am Mauerfuß sowie Bohrkernuntersuchungen der Mauer sowie der Gründung lassen eine Ableitung der konkret durchzuführenden statischen und restaurierungsseitigen Maßnahmen zu.

Auf Basis der Voruntersuchungen werden Arbeiten zur Gründung der Pergola, Erstellung der Bodenplatte, Abbau der noch vorhandenen Brüstung planbar.

Die Restaurierung der abgebauten Gewerke sowie die Herstellung von notwendigen Neuanfertigungen als auch der Wiederaufbau kann daraufhin beauftragt werden.

Im Gewerk Holzbauarbeiten muss die vorhandene Holzkonstruktion der beiden Dächer um irreparable Holzteile ersetzt bzw. ergänzt werden. Hinzu kommt der Wiederaufbau der Holzkonstruktion bis einschließlich neuer Dachschalung.

Bei den Restaurierungsarbeiten Holz- sollen Zierteile und die Holzfüllungen zwischen den Steinsäulen sowie an den beiden Pergola-Erkern fach- und denkmalgerecht restauriert und ggf. partiell ergänzt werden.

Die Dachdeckerarbeiten sollen entsprechend der ursprünglichen zeitgenössischen Ausführung gestaltet werden. Dachdeckungsmaterial sowie die Ausführung der Flaschnerarbeiten (bisher ohne Traufblech, Rinne, Fallrohr etc.) müssten noch in Detail und Material mit der Denkmalpflege abgestimmt werden.

Das guss- und schmiedeeiserne Tor an der unteren Einfahrt ist Teil des Denkmal-Ensembles und musste während der Sicherungsmaßnahmen ebenfalls notabgebaut werden, um die Durchfahrt zum Bauwerk zu ermöglichen. Die Restaurierung der Metallzierteile, die Reparatur und Restaurierung der Tragkonstruktion sowie der Wiedereinbau müssen im Rahmen der Gesamtrestaurierung und des Wiederaufbaus entsprechend vorgesehen werden.

Der Aufgang von der Lindenfirststraße durch das schmiedeeiserne Eingangstor zur Pergola muss instandgesetzt und die durch eine attraktive Bepflanzung flankiert werden.

Die Planung, Koordination und Bauleitung soll durch den Münsterbaumeister Paul Philipp Waldenmaier erfolgen. Er soll unterstützt werden durch ein Team aus spezialisierten Statikern, Ingenieurbüros, Tiefbauunternehmen, Restaurierungs- und Handwerksbetrieben.

Nach einer vorläufigen Kalkulation werden die Gesamtkosten für Abbau, Restaurierung und Wiederaufbau voraussichtlich bei rund 1 Mio. € liegen.

Hierfür wird der Verein auf öffentliche Fördergelder sowie Spendenzusagen angewiesen sein!

Der Verein hat hierzu eigens ein Spendenkonto eröffnet:

Eisenbahn-Belvedere-Pergola-Schwäbisch-Gmünd e.V.

Kreissparkasse Ostalb

Kontonummer: 1001370738

IBAN: DE71 6145 0050 1001 3707 38

BIC: OASPDE6AXXX

Für Spenden ab 300 EUR wird von dem Verein eine steuerabzugsfähige Spendenbescheinigung erstellt.  Für Spenden unter 300,- EUR gilt der Bankbeleg als Spendenquittung.

Kontakt:

Eisenbahn-Belvedere-Pergola-Schwäbisch-Gmünd e.V.

Lindenfirststr. 9, 73527 Schwäbisch Gmünd

Ansprechpartner: Udo Eckloff, 0176 24971 784  udo@cerrillares.com

 

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Quelle: Privat- und Gemeindebauten,
Schittenhelm,
Stuttgart, 1877/78
Heft 10 mit Blatt 3
(Ansicht und Grundriss des Gartenhauses von Oberbaurat von Morlok)

Fakten in Kürze: 

  • Standort: Lindenfirststraße 9, Schwäbisch Gmünd, auf einem Privatgrundstück an der Bahnlinie Schwäbisch Gmünd nach Aalen
  • Erbaut Mitte des 19. Jahrhunderts (1846/1855) vom Architekt und Oberbaurat Georg von Morlok, der unter anderem auch den Bahnhof in Schwäbisch Gmünd sowie weitere bekannte Bauwerke geplant hat
  • Fertigstellung noch vor Inbetriebnahme der Bahnstrecke von Cannstatt über Waiblingen, Schorndorf, Schwäbisch Gmünd und Aalen nach Wasseralfingen im Juli 1861
  • Zweck: Gartenabschluss des Grundstücks Lindenfirststraße 9 und 10 als Aussichtspunkt auf die neue Eisenbahnlinie und Blick über die Stadt Schwäbisch Gmünd
  • Beliebtes Fotomotiv und markantes Wahrzeichen auf Ansichtskarten der Stadt 
  • Notabbau wegen eines Wasserschadens im September/Oktober 2021
  • Vereinsgründung Oktober 2022
  • Geplanter Wiederaufbau ab Mitte 2023